Rückschritt durch Digitalisierung?

An der digitalen Transformation führt kein Weg vorbei. Unternehmen fragen nicht mehr, ob sie in den technologiegetriebenen Wandel einsteigen, sondern wie sie diesen in der eigenen Organisation realisieren sollen. Durch Streben nach Wachstum und Marktdominanz oder aus schierem Zugzwang, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, werden grossformatige Transformationsinitiativen angestossen. Diese betreffen die Digitalisierung des Leistungsangebots, der Wertschöpfungskette und sogar des gesamten Geschäftsmodells. Doch nicht immer ist die digitale Transformation ein Garant für Unternehmenserfolg, wie unsere Erfahrung in vielseitigen Beratungsprojekten zeigt.

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Schneller, weiter, digitaler

Die Ziele, die sich Unternehmen setzen, sind ambitioniert: Bis 2021 soll beispielsweise der Digitalisierungsgrad in der Schweiz um 50% erhöht werden. Aktuelle Studien zeigen jedoch, dass sich Unternehmen mit Veränderungsprozessen schwertun und die gesteckten Ziele nur selten tatsächlich erreichen. Lediglich 16% der Unternehmen, die Projekte zur digitalen Transformation verfolgen, geben an, dass sie ihre Leistungsfähigkeit durch diese Projekte steigern konnten. In eher traditionellen Branchen ohne digitale Affinität liegt die Erfolgsquote zwischen 4 bis 11%. Angesichts der immensen Investitionskosten für derartige Vorhaben, ist dies besonders schmerzlich.

Stolpersteine des digitalen Wandels in Marketing und Vertrieb

Durch ihre Schnittmengen mit anderen Organisationseinheiten und ihre Ausrichtung auf den Kunden stellt die digitale Transformation von Marketing und Vertrieb Unternehmen vor besondere Herausforderungen. Wir sehen in unseren Beratungsprojekten, dass B2B-Unternehmen häufig auf folgende Stolpersteine treffen:

  • Maroder Unterbau: Häufig beinhalten Transformationsvorhaben nicht nur die Übertragung von bestehenden Prozessen und Abläufen in die digitale Welt, sondern erfordern zunächst grundlegende Aufbauarbeiten. Denn nicht selten sind Aufgaben und Verantwortlichkeiten im Vertrieb nicht in der Form formalisiert, wie es für die systemseitige Abbildung notwendig ist. Die klare Definition der Vertriebsprozesse sowie die Sicherstellung ihrer Anschlussfähigkeit an andere Geschäftsprozesse benötigt viel Kraft und Zeit sowie ein Verständnis für das Big Picture.
  • Verlust durch Vereinfachung: Um gängige Systeme, wie z.B. CRM-Systeme, für sich nutzbar zu machen, passen sich Unternehmen an systemseitige Vorgaben an, statt diese auf ihre spezifischen Bedürfnisse zuzuschneiden. Ein gewisses Mass an Standardisierung ist die Voraussetzung für die wirksame Digitalisierung. Jedoch verlieren Unternehmen wertvolles Kundenwissen, wenn sich relevante Informationen aus Kundenplänen nicht in den vorgegebenen Datenfeldern des neuen CRM-Systems abbilden lassen. Bewährte Heuristiken und Tools sollten nicht vorschnell ersetzt werden, um über die Jahre aufgebaute Wettbewerbsvorteile nicht zu gefährden.
  • Macht der Daten: Es reicht nicht, massenhaft Daten zu sammeln und in Funneln, Lakes etc. abzuspeichern und sich darauf verlassen, dass die intelligenten Systeme einem dann schon sagen, was zu machen ist. Die wahre Herausforderung besteht darin, einzelne Datenpunkte sinnvoll zu verbinden und relevante Aussagen für die Bearbeitung von Kunden abzuleiten. Nicht selten finden sich die wertvollsten Ansatzpunkte für die Kundenbearbeitung in den Köpfen der Mitarbeiter, die tagtäglich mit den Kunden zu tun haben. Vertriebsmitarbeitende müssen in der Lage sein, die zur Verfügung stehenden Daten zu verknüpfen und sinnvoll zu interpretieren, damit diese zu echten Mehrwerten für den Kunden führen.
  • Aufbruch ins Ungewisse: Bei Initiativen zur digitalen Transformation fällt es Unternehmen noch schwerer als bei üblichen Veränderungsvorhaben, den zu beschreitenden Weg und klare Ergebnisse im Voraus zu definieren. Diese Unsicherheit kann dazu führen, dass Unternehmen dem Herdentrieb verfallen und nicht abwägen, welche Ansatzpunkte für ihre Kundenbearbeitung sinnvoll sind. Es gilt zu unterscheiden, welche Investitionen notwendig sind, um mit dem Marktstandard mitzuhalten und welche eine Differenzierung vom Wettbewerb ermöglichen.
  • Reichweite des Changes: Die digitale Transformation ist ein Prozess, der grundlegend verändert, wie Unternehmen ihre Geschäfte tätigen. Diese Veränderungen beschränken sich nicht auf einzelne Bereiche und erfordern integrierte Systeme, klar definierte Prozesse und Schnittstellen und stellen hohe Anforderungen an Mitarbeitende. Um den Wandel im Unternehmen ganzheitlich voranzutreiben, sollte die Bedeutung eines aktiven Change Management (vor allem durch das C-Level) nicht unterschätzt werden.

 

Quellen:
Weibel, M. & Lindenau, A. (2017). Digitalisierung im Business-to-Business-Marketing und Vertrieb erfolgreich realisieren. Marketing Review St. Gallen.
Belz et al. (2018). Veränderte Kaufprozesse im Business-to-Business Marketing gestalten. St. Gallen: Thexis.
De la Boutetière, H., Montagner, A. & Reich, A. (2018, Oct.). Unlocking success in digital transformations. McKinsey & Company.
Davenport, T. H. & Westerman, G. (2018, March 09). Why So Many High-Profile Digital Transformations Fail. Harvard Business Review.
Switzerland Global Enterprise (2016). Opportunities for the Swiss Export Industry: INDUSTRY 4.0. Whitepaper.